Brandenburger SPD-Landrat: „Die Hofreiters in diesem Land vergiften das Klima durch öffentliche Denunziationen“

Katrin-Lange-Affäre: Grüne werfen der Innenministerin vor, Putin-freundlich zu sein. Gernot Schmidt sagt im Interview: Andersdenkende wie sie werden ausgegrenzt und runtergemacht.
Katrin Lange, Innenministerin der SPD in Brandenburg, hat ihren Verfassungsschutzchef rausgeworfen, nachdem er die AfD als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat, und die Wellen schlagen hoch. Grünen-Politiker kritisieren nicht nur sie, sondern auch die Brandenburger SPD. Innenministerin Lange zeige sich auf dem rechten Auge blind, sagt Grünen-Chef Felix Banaszak. Anton Hofreiter spricht von „Putin-freundlichen Kräften innerhalb der SPD, die in Brandenburg besonders stark“ seien und den Kampf gegen die demokratiefeindliche AfD nicht weiter behindern dürften. Es gibt Rücktrittsforderungen gegen Lange, auch von der Linken.
Langes Parteikollege Gernot Schmidt, 63, Landrat in Märkisch-Oderland, geht nun zum Gegenangriff über. Im Telefoninterview mit der Berliner Zeitung kritisiert er Langes Kritiker, sagt, warum er den Rauswurf des Verfassungschefs für richtig hält und gegen ein AfD-Verbot ist.
Landrat Schmidt: „Menschen aus der DDR sind da sehr sensibel“Herr Schmidt, der Grünenpolitiker Anton Hofreiter wirft der Brandenburger SPD vor, Putin-freundlich zu sein. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein Frontalangriff gegen die Brandenburger SPD und zeigt eine Grundhaltung von Menschen, die der Meinung sind, die politische Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Ostdeutsche, die sowas aus der DDR kennen, sind da sehr sensibel. Diese Art und Weise der Polemik hat bereits dazu geführt, dass Grüne und Linke hier nicht mehr im Landtag vertreten sind.
Welche Art und Weise meinen Sie?
Katrin Lange ist gegen ein Verbot der AfD, sie will die Partei mit liberalen, demokratischen, rechtstaatlichen Mitteln bekämpfen. Deshalb wird sie nun als rechts und Putin-freundlich beschimpft. Das ist eine Denunziation von Menschen, die andersdenkend sind und zerstört das Vertrauen in die Demokratie. Abweichler werden ausgegrenzt und runtergemacht. Weil Katrin Lange eine Frau ist, fehlt auch noch die Beißhemmung, das muss ich ganz deutlich sagen.
Waren Sie überrascht davon, dass Katrin Lange den Brandenburger Verfassungsschutzchef rausgeworfen hat?
Ich kenne Katrin Lange seit langem, ich schätze sie sehr, und ich bin sehr erstaunt, was man Menschen wie ihr anhängt. Ein politischer Beamter wie der Chef des Verfassungsschutzes hat eine herausragende Funktion, steht aber auch in besonderem Dienstverhältnis zu seinem Minister. Vertrauen spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Wenn Lange in dieser wichtigen Angelegenheit über Wochen nicht richtig informiert wurde, ist ihre Entscheidung richtig.
Sie hätten genauso entschieden?
Ich stehe nicht in der Behörde, weiß auch nicht, wie die genauen Abläufe sind. Das ist auch nicht meine Baustelle. Aber ich wehre mich dagegen, dass jemand, nur weil er andere Ansichten hat, denunziert wird. Es zeigt den tiefen Riss, den wir in diesem Land haben, zwischen denen, die so etwas schon mal erlebt haben zu DDR-Zeiten, und denen in den alten Bundesländern, die versuchen, Denunziationen zum allgemeinen Diskurs zu machen. Das ergibt den gegenteiligen Effekt, nämlich, dass Menschen noch mehr in politische Lager abdriften. Es geht darum, wie man mit extremistischen Strömungen in der Gesellschaft umgeht.
Landrat Gernot Schmidt: „Dann ist das keine Demokratie mehr“Wie geht man denn Ihrer Meinung nach damit um?
Ich finde, man muss argumentativ kämpfen. Und ich frage mich: Wenn man eine Partei verbietet, die von 30 Prozent gewählt wird, die auch in Baden-Württemberg vor den Grünen liegt, wie will man dieses Verbot umsetzen? Mit dem Verfassungsschutz, mit Überwachung? Das ist dann keine freiheitlich-bürgerliche Demokratie mehr. Wir müssen unsere Politik ändern, damit die Menschen uns auch wieder wählen.
Wie gefährlich ist die AfD in Brandenburg aus Ihrer Sicht?
Die AfD hat ein breites Spektrum. Es gibt Menschen, die ich als rechtsextrem beurteilen würde, aber auch viele, die aus dem Mittelstand, dem Handwerk kommen und von der jetzigen demokratischen Klasse und Kultur enttäuscht sind. Auch die Parteien der Mitte, CDU und SPD, haben Wähler wegen ihrer Politik verloren.
In Sachsen-Anhalt hat die AfD gerade als Landesmotto #deutschdenken verkündet und will einen sogenannten Stolz-Pass, eine Stempelkarte für den Besuch von Sehenswürdigkeiten, die mit der deutschen Geschichte zu tun haben, einführen. Bekommen Sie es nicht mit der Angst zu tun, wenn Sie das hören?
Natürlich. Da muss man sich auch klar dagegen positionieren, seine Meinung vertreten, für eine Gesellschaft werben, die Werte wie Anstand und Vielfalt hochhält. Durch Verbote erreicht man nichts. Deshalb versuchen wir hier, die Menschen wieder zu erreichen.
Wie versuchen Sie das?
Indem wir zum Beispiel die Würde der Opfer des Zweiten Weltkrieges bewahren und über sie keine Tagespolitik machen.
Sie sprechen von der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Schlacht auf den Seelower Höhen, zu der auch der russische Botschafter kam?
Ja, wir haben den russischen Botschafter eben nicht ausgeladen, wie das vom Auswärtigen Amt verlangt wurde. Wir fahren eine Linie, in der Diplomatie wichtig ist und nicht Ausgrenzung.
Wie liefen die Feierlichkeiten?
Es gab einen enormen Zuspruch aus der Bevölkerung, und es gibt ja jetzt eine massive Bewegung im Ukraine-Krieg in Richtung Frieden, was für Europa existenziell und notwendig ist. Dafür war es wichtig, dass wir im Vorfeld in der Zivilgesellschaft den Kontakt zu Russland nicht haben abreißen lassen. Die Ukraine muss als Staatsgebilde überleben, es darf keinen Diktatfrieden geben, denn dann würden neue Flüchtlingsströme kommen, die uns auf kommunaler Ebene belasten.
Gernot Schmidt: „Bin ein altes Kampfschwein, genau wie Ralf Stegner“Ähnlich formuliert es Ralf Stegner von der SPD, der sich kürzlich in Baku mit Vertretern Russlands getroffen hat und sich nun ebenfalls mit Putinfreund-Vorwürfen auseinandersetzen muss.
Mir wurde das ja auch schon vorgeworfen, obwohl ich die Ukraine-Aggression, den Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen, immer verurteilt habe. Ich kann dazu nur sagen: Die Hofreiters in diesem Land setzen sich nicht inhaltlich mit dem Thema auseinander, sondern nur verletzend und diffamierend. Sie vergiften das Klima, was dazu führt, dass Menschen zunehmend Angst haben, ihre Meinung zu äußern und sich zurückziehen. Aber deshalb ist ihre Meinung ja nicht tot. Leute sagen mir: Herr Landrat, Sie haben recht mit dem, was Sie sagen, aber wie stehen Sie das durch, dass sie immer so angefeindet werden?
Und, wie stehen Sie das durch?
Ich bin ein altes Kampfschwein, genau wie Stegner, den haut das auch nicht so schnell um.
Und Katrin Lange? Sie ist schon im Landtagswahlkampf mit ihren klaren Ansagen aufgefallen, hat mit Anspielung auf Saskia Esken gesagt, Leute wie sie sollten nicht mehr an Talkshows teilnehmen.
Frau Lange kommt aus der Prignitz, ist direkt, bodenständig und setzt sich für die ländliche Bevölkerung ein. Ihre politischen Analysen haben immer zugetroffen. Vielleicht kommt daher auch der Hass auf sie.
Es gibt jetzt eine Online-Kampagne der Grünen gegen Lange. Wie gehen Sie damit um?
Wir kämpfen klar um unsere Linie. Sonst verlieren wir noch mehr Wähler, sind keine Volkspartei mehr, sondern eine Sekte.
Ein Argument für ein AfD-Verbot ist, dass der Menschheit ein Weltkrieg und der Holocaust erspart geblieben wäre, wenn die NSDAP 1932 verboten worden wäre.
Das stimmt, das ist ein Kernargument in dieser Diskussion. Ein anderes ist: Die Unterstützer der Weimarer Demokratie haben sich gegenseitig in die Mangel genommen, statt sich zu unterstützen, die Stimmung war aufgeheizt. Martin Niemöller hat sinngemäß mal gesagt: Ich habe nicht protestiert, als die Kommunisten abgeholt wurden, auch nicht, als die Sozialdemokraten abgeholt wurden, und als ich abgeholt wurde, war niemand mehr da, der sich für mich einsetzen konnte. Bei aller Unterschiedlichkeit müssen wir Demokraten zusammenstehen und über verschiedene Wege im Umgang mit der AfD diskutieren, und das ohne Hass.
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Berliner-zeitung